Autonomen Antifaschismus stärken!

Quelle: randnotiz göttingen

Gastkommentar zu den Prozessauftakten in Dresden und Mühlhausen

Anfang September begannen zwei für die (radikale) Linke äußerst bedeutsame Gerichtsprozesse. Sie stehen in ihrer Spiegelbildlichkeit geradezu symptomatisch für den Umgang mit dem Neonaziproblem in diesem Land. Die Erkenntnis ist dabei zwar keineswegs eine Neue und doch muss sie immer wieder betont werden.

1. Mühlhausen

Im April 2018 griffen die beiden Neonazis Gianluca Bruno und Nordulf H., der Sohn von Thorsten Heise, zwei Journalisten im thüringischen Fretterode brutal an. Sie schlugen einem Betroffenem mit einem schweren Schraubenschlüssel auf den Kopf, sodass er einen Schädelbasisbruch erlitt. Dem anderem Journalisten wurde mit einem langen Messer ins Bein gestochen, wobei die lebenswichtige Beinschlagader nur knapp verfehlt wurde. Das Auto wurde zertrümmert und die Kameraausrüstung geraubt. Die Täter lebten für die vergangenen drei Jahre unbehelligt, gründeten eine Familie und machten eine Ausbildung. Umstände, die ihnen das Gericht mit Sicherheit als positive Sozialprognose in Rechnung stellen wird. Dass Bruno und H. militante Neonazis sind, und daher ein enormes Gefahrenpotential für ihre erklärten Feinde wie People of Colour, Jüdinnen und Juden, Demokrat*innen oder Antifaschist*innen bergen, fällt dabei unter den Tisch. Auch Schusswaffen werden nicht weit sein, wenn man die Verbindungen Fretterodes in und zu militanten und rechtsterroristischen Netzwerken berücksichtigt. Der Staat, in diesem Fall das Landgericht und Staatsanwaltschaft Mühlhausen, haben durch ihre Untätigkeit den Nazis den roten Teppich ausgerollt, auf dem sie – durch eine zu erwartende positive Sozialprognose und einen verschleppten Prozessbeginn – mal wieder glimpflich den Prozess verlassen könnten. Die letzten Urteile gegen Neonazis in Thüringen lassen zumindest nur diesen Schluss zu.

2. Dresden

Am Landgericht Dresden beginnt das erste (von vermutlich mehreren) Verfahren gegen Antifaschist*innen, die – sofern man der Anklage glauben schenken kann – Neonazis erfolgreich in die Schranken gewiesen haben. Sie sollen den Eisenacher Leon R. und dessen Nazikneipe angegriffen haben. R. hatte dabei nachweislich Kontakte zur rechtsterroristischen „Atomwaffen Division“ und ist mit anderen Eisenacher Neonazis für eine rechte Gewaltwelle in Eisenach verantwortlich gewesen, bei der Linke, Punks und Demokrat*innen terrorisiert wurden. Auch die anderen vermeintlichen Opfer sind dem harten Kern der Neonaziszene zuzuordnen. Darunter befindet sich auch Enrico B. aus Leipzig. Ihm gehört unter anderem der Verlag „Der Schelm“ welcher widerlichste antisemitische Literatur aus dem NS neu aufgelegt hat. Das sächsische LKA hat alles daran gelegt, hier eine kriminelle Vereinigung zu konstruieren, die – wenn das Verfahren Erfolg haben sollte – schnell auf jede politische Gruppe oder auch nur antifaschistisch eingestellte Freundeskreise angewandt werden könnte, um diese so als kriminelle Vereinigung abzuurteilen. Das Ziel der Behörden ist also offensichtlich: antifaschistische Praxis, die zumindest punktuelle Erfolge gegen den um sich greifenden Naziterror erzielen konnte, soll im Keim erstickt werden. Antifas sollen in die Nähe der RAF gerückt werden, um sie so vor potentiellen Bündnispartner*innen zu delegitimieren. Es soll in der Bundesrepublik nur einen bunten Antifaschismus geben. Diese Gruppen und Stiftungen werden mit reichlich Geld ausgestattet und im Gegenzug gezwungen, sich einer radikalen Gesellschaftskritik und bestimmter Aktionsformen zu entledigen, wozu mittlerweile schon Sitzblockaden zählen können. Auf der anderen Seite wird der radikalere Teil des antifaschistischen Spektrums mit allen nur möglichen Ermittlungsmethoden gegängelt und soll so zerschlagen werden.

Doch nicht einmal die ‚bunte Zivilgesellschaft‘, die sich an den Staat gebunden hat, kann auf dessen Unterstützung bauen: Das kürzlich zu Ende gegangene „Ballstädtverfahren“ ist das beste Beispiel: Ist es Polizei und Politik schon egal, wenn Nazis ‚Zecken‘ und People of Colour zusammenschlagen, haben sie hier eine ganze Dorfgemeinschaft dem rechten Mob ausgeliefert. Auf den Staat ist also nicht mal im „bunten Deutschland“ verlass! Hier zeigt sich, dass die Diskussionen um Militanz den Kern des Problems verkennen. Die beiden Verfahren machen offensichtlich, wie notwendig antifaschistischer Selbstschutz bleibt. Die beiden Prozesse sollten also zusammen gedacht werden. Die in bürgerlichen Kreisen vorhandene Empörung über den Umgang mit rechter Gewalt und der staatlichen Nichtkonsequenz sollte genutzt werden, um einen autonomen Antifaschismus wieder selbstbewusst zu propagieren und dessen Bedeutung gegenüber potentiellen bürgerlichen Bündnispartner*innen zu unterstreichen.

Solidarität mit den Betroffenen rechter Gewalt und Freiheit für Lina!


Weiterlesen:

Solidaritätsbündnis Antifa Ost: https://www.soli-antifa-ost.org/

Tatort Fretterode: https://tatort-fretterode.org/

Phase 2 Nr. 58: Did Nazi that coming. Über 20 Jahre demokratischer Antifaschismus

Ballstädtverfahren: https://ballstaedt2014.org/


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