Aus dem Amtsgericht: „Ich bin ein Politikum“

20.03.2015

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Er steht im 80. Lebensjahr und ist haarscharf dem Gefängnis entkommen. Vorerst. Wenn er sich weiter so benimmt, kann sich das ändern. Dann muss er doch noch dort hin, wo ihn das Amtsgericht Einbeck gern gesehen hätte. Das Landgericht Göttingen aber ließ noch einmal Milde walten und hat die Gefängnisstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Gedankt hat der rabiate Rentner dem Gericht das nicht.

Göttingen. „Ich bin verurteilt worden für etwas, was ich nicht verbrochen habe!“, schimpft er und nennt auch den Grund: „Ich bin ein Politikum.“ Wohl eher ein Unikum. Der 79-Jährige tritt auf wie Wander-Waldi: Bestickte Trachtenweste, Krawatte aus Lederbändern, Filzhut voller Anstecker. Distanzlos erzählt er jedem, den er zu fassen kriegt, seine Lebensgeschichte und springt dabei binnen eines Satzes durch mehrere Jahrzehnte.

Vor Gericht steht er, weil er etliche Menschen beleidigt hat. Einer zwölf Jahre alten Schäferhündin hat er außerdem im Vorbeiradeln in die Seite getreten. „Die war nicht angeleint“, rechtfertigt er seine Tierquälerei. Und eine Frau hat er zudem genötigt und ist mit seinem Rad auf sie zugefahren.

Das ist alles nicht mehr zu leugnen. Denn im Landgericht geht es in der Berufungsverhandlung am Ende nur noch um das Strafmaß. Dass er begangen hat, was das Amtsgericht schon in seinem Urteil (sieben Monate ohne Bewährung) feststellte, ist rechtskräftig.

Es sind überwiegend Beleidigungen, die den Vielrede-Rentner mit der Justiz in Konflikt gebracht haben. 71 Jahre lang hatte er sich nie etwas zu Schulden kommen lassen. 2007 ging es los. Vier Verurteilungen, überwiegend wegen Beleidigung, gab es schon. Dann die neue Anklage mit sieben Straftaten, meist wieder Beleidigungen. Mal pöbelte er eine Mutter mit Kind als „Hundemafia“ und „asoziales Pack“ an, mal beschimpfte er ein Ehepaar mit den Worten: „Sie sollten sich lieber ihr Gesetz auf den Arsch tätowieren!“ Mit „Hunde- und Russenmafia“ wurden mehrfach Menschen belegt. Und die schlimmste Beleidigung lautete: „Früher hätte man sowas wie Sie vergast.“

Das Gericht hat sich Mühe gegeben, dem rabiaten Rentner gerecht zu werden. Es hat einen psychiatrischen Sachverständigen gehört. Der hat dem Angeklagten eine „narzistische Persönlichkeit“ mit „dissozialen und querulatorischen Anteilen“ bescheinigt. Richter Tobias Jakubetz erklärte, das „auffällige Verhalten“ ziehe sich schon durch das ganze Leben des Angeklagten, sei aber erst 2007 zum juristischen Problem geworden. Das Sachverständigengutachten belege, dass die Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt, die Einsichtsfähigkeit aber nicht aufgehoben gewesen sei.

Gleichwohl werde verminderte Schuld angenommen. Deshalb wird das Strafmaß von sieben auf sechs Monate reduziert. Und weil man mit fast 80 besonders strafempfindlich sei, Beleidigungen zudem zwar lästig, aber nicht gefährlich seien, muss der Verurteilte die Haft zunächst nicht verbüßen – aber nur, wenn er dem Gericht therapeutische Gespräche und eine medikamentöse Behandlung durch einen Psychiater nachweist.

Der Angeklagte hört es, schimpft noch etwas, bedankt sich dann und lupft zum Abschied seinen Wanderhut.


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