Im Herbst 2018 und im Frühjahr 2019 hielt eine Gruppe junger Neonazis die Stadt Göttingen in Atem. Sie wurden von autonomen Antifaschist*innen als „Göttinger Naziclique“ bezeichnet. Vor allem auf dem Campus nahmen rechte Schmierereien merklich zu. Daneben wurden im Stadtgebiet vermehrt Aufkleber der ‚Identitären Bewegung‘, ‚Alternative für Deutschland (AfD)‘ und ‚NPD‘ gesichtet, die die Gruppe während ihrer Kneipentouren verklebte. Ihre Gesinnung wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass die Nazis während dieser Touren Wehrmachts- und SS-Lieder sangen und Hitlergrüße zeigten.Doch nicht nur das: Personen wurden beleidigt, bedroht und angegriffen. Die Über- und Angriffe reichten soweit, dass sich verschiedene Göttinger Kneipen zusammenschlossen und die Initiative „Kein Bier für Nazis“ gründeteten, um den rechten Einschüchterungsversuchen entgegenzutreten. Zwei dieser Angriffe haben größere mediale Aufmerksamkeit erfahren. Der Text gibt einen Überblick über diese beiden Taten. Er benennt Schläger und Mittäter – unabhängig davon, ob sie in den beiden Verfahren verurteilt worden sind oder nicht. Schlampige Ermittlungen, zwei durch das Amtsgericht Göttingen verschleppte Prozesse und die Tatsache, dass die Gerichte die aufgetischten Lügengeschichten der Nazis und ihrer Verteidiger nicht ausreichend hinterfragt haben, trugen dazu bei, dass die Taten nicht gesühnt worden sind.
Worum geht es?
Im November 2018 schlugen die Neonazis Felix Leonhard Hauser, Paul Sass, Albrecht Diederichs, Philippe Navarre und Kim Dietrichsen zwei Studenten zusammen, nachdem sie die Beiden homofeindlich beleidigten. Die Gruppe war an dem Abend wieder in der Göttinger Innenstadt unterwegs, um sich zu betrinken und ihren Aggressionen Luft zu machen. Albrecht Diederichs trug dabei einen rot-weißen Metallpoller mit sich, den sie auf dem Weg gefunden hatten. Gegen 3 Uhr nachts trafen sie auf die beiden Betroffenen. Scheinbar passte der Gruppe deren Auftreten nicht und so begannen Paul Sass und Albrecht Diederichs die beiden Jura-Studenten aufgrund ihrer langen Haare mit den Worten „langhaarige Schwuchtel“ homofeindlich zu beleidigen. Einer der beiden Nazis griff den Betroffenen ins Gesicht, worauf er die Hand wegschlug. Die beiden Studenten waren von Beginn an einer bedrohlichen Situation ausgesetzt.
Einer der Nazis soll sich permanent in deren Rücken aufgehalten haben. Dann schlugen die Nazis zu. Einer der Betroffenen erlitt durch die Schläge, laut seiner Aussage mit dem Metallpoller als Tatwerkzeug, einen Kieferbruch und musste im Krankenhaus behandelt werden. Auch der andere Betroffene wurde angegriffen und ist durch einen Schlag gegen seinen Kiefer bewusstlos zu Boden gegangen. Als die Beiden im Anschluss die Polizei riefen wurden sie von dieser ignoriert und mit den Worten „Für sowas schicken wir keinen raus.“ abgewiesen. Einer beiden Betroffenen begann aus diesem Grund selbst zu ermitteln und fand in umliegenden Kneipen die Namen der angeklagten Nazis heraus. Die Betroffenen selbst mussten sich um die Aufklärung kümmern, während die Polizei Nazigewalt ignorierte. Allein das ist ein skandalöser Vorgang, der es den Nazis leicht machte, mit milden Strafen davonzukommen.
Ende Februar 2019 kam es es zu einem weiterem schweren Angriff auf Gäste der Sonderbar, welche für ein linkes Publikum bekannt ist. Gegen 5 Uhr morgens fiel die Gruppe um Felix Leonhard Hauser in der Sonderbar ein und provozierte zunächst durch rassistische sowie homo- und transfreindliche Aussagen. Zeuginnen berichteten von einem aggressiven und bedrohlichem Auftreten. Wer aus der Gruppe die Bar betreten hat ist nicht zuletzt aufgrund der Erinnerungslücken nach über vier Jahren, die seit dem Vorfall verstrichen sind, nicht eindeutig zu klären. Unbestritten ist, dass anwesende Gäste Hauser die „Rädelsführerschaft“ zugeschrieben haben und er dem Betroffenen durch Schläge mit Quarzsandhandschuhen schwere Verletzungen im Gesicht zugefügt hat. Aus den Aussagen der Zeuginnen geht zudem hervor, dass mindestens Sven Günther (ein Essener Freund von Hauser) und Paul Sass die Bar betreten haben. Ob letztendlich Philippe Navarre oder Robert Krüger-Zechlin (der zweite Angeklagte in dem Verfahren) ebenfalls die Bar betreten haben, ist für den Nachvollzug des Tathergangs irrelevant: Denn der Betroffene wurde von zweien der Nazis nach draußen gezogen und dann vor der Bar von mindestens zwei Männern aus der Gruppe weiter traktiert. Kim Dietrichsen beobachtete den Angriff ihrer Freunde und rannte anschließend mit der gesamten Gruppe davon. Teile der Naziclique wurden unweit ihrer damaligen Wohnung in der Reinhäuser Landstraße von der Polizei aufgegriffen. Sie hatten sich hinter einer Hecke versteckt.
Gerichtsverhandlungen 2023
Die Gerichtsverhandlungen fanden vor unterschiedlichen Instanzen statt. Der Angriff auf Gäste in der Sonderbar wurde 2023 als Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Göttingen verhandelt. Die Attacke auf die beiden Studenten wurde in erster Instanz vor dem Amtsgericht Göttingen verhandelt. Es hat somit fast fünf Jahre gedauert, bis der Prozess begonnen wurde. Nach dem Sonderbar-Angriff dauerte es ebenfalls zwei Jahre, bis die Hauptverhandlung eröffet wurde. Die Schuld dafür liegt klar beim Amtsgericht Göttingen. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen bereits nach einem halben Jahr abgeschlossen und Anklage erhoben.
Nachdem die Nazis in der Instanz des Sonderbar-Verfahrens durchweg die Aussage verweigert hatten, fingen sie im Berufungsverfahren plötzlich an zu reden. Dementsprechend wirkten die Aussagen der Naziclique durchweg abgesprochen und wie Sven Adam, der Nebenklagevertreter im Sonderbar-Prozess, es auf den Punkt brachte, „gescripted“. Eine Tatsache, die beiden Prozessen gemein ist. Die Änderung der Verteidigungstrategie scheint sich nicht zuletzt mit dem Einstieg von Klaus Kunze als neuer Vertreter von Robert Krüger-Zechlin und altbewährter Verteidiger von Albrecht Diederichs, geändert zu haben. Letzterer lässt sich nicht nur im Theaterplatz-Prozess von Kunze vertreten, sondern sitzt im Sonderbar-Prozess zugleich als Jura-Student und Praktikant Kunzes mit im Gerichtssaal. Die Verteidigungsstrategie folgte in beiden Prozessen einer Täter-Opfer-Umkehr vom Feinsten. Einzelne Schläge Hausers wurden zwar eingeräumt, aber als vermeintliche Notwehr dargestellt. So behauptete Philippe Navarre, Hauser sei von den Betroffenen des Theaterplatzangriffs zuerst geschubst worden, nach hinten getaumelt und habe im Taumeln ausgeholt, um sich zu verteidigen. Ein lächerlich wirkender Bewegungsablauf, der insbesondere in Anbetracht der schweren Verletzungen des Betroffenen mit Kieferbruch, wohl kaum so vonstatten gegangen sein kann. Auch der Straßenpoller, den die Betroffenen klar als Tatwerkzeug benannten, sei lediglich als „witziges Objekt“ von der Straße aufgesammelt worden.
Im Sonderbar-Prozess behaupteten die Nazis sie hätten auf dem Nachhauseweg noch schnell ein Bier trinken wollen, aber sie hätten, aus ihnen nicht nachvollziehbaren Gründen, kein Bier in der Sonderbar bekommen. Stattdessen seien sie dann von den Gästen angegriffen worden, wogegen sich insbesondere Hauser mithilfe von Schlägen gewehrt hätte. Auch das eine merkwürdige Gemeinsamkeit des von den Nazis beschriebenen Tathergangs. Im Theaterplatz-Prozess behaupteten sie ebenfalls, dass sie die beiden Jura-Studenten nur angesprochen hätten, um sich nach einem Ort zu erkundigen „wo man noch Bier trinken könne“. Der Angeklagte Hauser selbst beschrieb in seiner Aussage im Sonderbar-Prozess in blumigen Worten wie er sich gegen eine Gruppe von Angreifern zur Wehr gesetzt habe und dabei vor allem sich selbst schützen musste. Dabei habe er dann auch einmal zugeschlagen. Der Betroffene berichtete hingegen durchweg von mehreren Schlägen, die er ins Gesicht bekommen hatte, wobei auch seine Nase brach – die Schilderung Hausers, dass es lediglich Notwehr seinerseits war, ist mehr als unglaubwürdig. Von den Flaschenwürfen, die angeblich in Richtung der Nazis vor der S-Bar stattgefunden haben sollen, hat auch keine einzigeer Zeug*in etwas mitbekommen. Krüger-Zechlin gibt gar an, ganz unbeteiligt und deeskalierend das Geschehen von draußen beobachtet zu haben. Dass er an dem Angriff auf die Gäste der Sonderbar beteiligt gewesen sei, bezeichnete er als „falsche Anschuldigungen“.
Bei den NazizeugInnen legte wiederum Philippe Navarre einen bemerkenswerten Auftritt hin: Mit Verweis auf seine enorm gute Erinnerungsfähigkeit schilderte er seine Version der Geschichte in den schillernsten Farben. Zufälligerweise kamen in seiner Aussage die gleichen Begriffe vor, wie in den Einlassungen der anderen Nazis. Als er jedoch nach Ereignissen vor oder nach dem Angriff gefragt wurde, wie zum Beispiel wo sie zuvor waren, war das angebliche IQ-Wunderkind erstaunlich wortkarg.
Dass die Aussagen abgesprochen waren, verdeutlichten insbesondere Philippe Navarre und Paul Sass, die sich im Sonderbar-Prozess an einigen Stellen verplapperten. Sie erzählten freimütig, dass sie die Anklageschrift gelesen hätten. Auf Nachfrage stotterten sie dann rum und erklärten, dass sie die Presseberichte gemeint hätten.
Absurd war nicht zuletzt auch der Auftritt des Zeugen Aaron Arold, einem angeblich losem Bekannten aus Heilbad Heiligenstadt. Arold betätigte sich in der Vergangenheit als Entlastungszeuge. Im Fretterode-Prozess trat er als harmloser Schulfreund von Nordulf Heise auf und legte einen eher peinlichen und unwissenden Auftritt hin. Im Sonderbar-Prozess sollte er Robert Krüger-Zechlin entlasten, indem er beteuerte mit diesem draußen und um die Ecke der Sonderbar eine Zigarette geraucht zu haben. Das ist aber wohl auch das einzige was er von jenem Abend genau zu wissen vermag, sodass selbst der Staatsanwalt bezweifelte, dass Arold an jenem Abend überhaupt in Göttingen gewesen sei.
Die Verbindung zu Nordulf Heise verdeutlicht zudem, dass es sich mitnichten um einen harmlosen Bekannten handelt, so waren die beiden gar 2018 gemeinsam auf dem von Neonazi-Kader Torsten Heise organisierten extrem rechten Schild & Schwert-Festival in Ostritz.
Arold selbst erzählte, anders als im erstinstanzlichen Verfahren, wo er noch betonte, er kenne die Naziclique lose aus Heiligenstadt und von Kirmes-Veranstaltungen, dass sie sich über politische Veranstaltungen kennengelernt hätten. Arolds Aussage, er kenne die Angeklagten nur lose, ist ebenfalls Teil der Märchenstunde. Er besuchte die Familie Hauser bereits in Essen.
Die Naziideologie der Angeklagten
Dass die rechte Ideologie der Angeklagten von den beiden Gerichten nicht verstanden wurde, wird unter anderem an Hausers Ausführungen zu seinem Familienleben deutlich. Diese entspricht dem einer bürgerlichen Kleinfamilie, was ihm im Sonderbar-Prozess als positiv für seine Sozialprognose und damit strafmildernd ausgelegt wurde. So wurde Felix Leonhard Hauser seine Vaterschaft, für die er nicht mal regelmäßigen Unterhalt an die Mutter des Kindes zahlt, sondern nur Naturalien „nach Bedarf“ zur Verfügung stellt, sowie die – nach Eigenaussage – bestehende Verlobung, positiv ausgelegt. Dabei zeigt sich hier nur die patriachale Teilung rechter Geschlechtervorstellungen in den Mann als ‚Krieger‘ und ‚Ernährer‘ und die Frau ‚als sorgende Mutter‘. Dementsprechend stellt Hausers Familienleben kein Widerspruch zu seinen extrem rechten Aktivitäten dar, die aber die beiden Gerichte ohnehin bei allen Angeklagten nicht sonderlich interessiert haben. Die politische Dimension der Taten wurde anders als im erstinstanzlichen Verfahren des Sonderbar-Prozesses noch weniger durch das Gericht thematisiert und beleuchtet. Im Theaterplatzverfahren war sie so gut wie gar nicht Thema. Damit machte es das Gericht den Angeklagten leicht, die politische Dimension der Angriffe zu verschleiern. Die angeklagten Nazi machten dementsprechend ein großes Geheimnis aus ihrer politischen Gesinnung. Felix Leonhard Hauser stellte sich gar als „Patriot“ vor. Dies ist eine weite Untertreibung seiner neonazistischen Agenda.
Felix Hausers Gesinnung wird nicht zuletzt an seinen neuerlichen Geschäftsideen deutlich. Zusammen mit seinen beiden Brüdern Clemens Johannes und Tilman Ulrich Hauser hat er das Unternehmen ‚Gemsbok‘ gegründet, mit dem die drei eine „Marke für nonkonformistische Mode“ etablieren wollen. Ihr Anliegen ist es, „Traditionen in die Moderne zu überführen und neu zu interpretieren“. Damit ist der politische Standort der Marke, zumindest kodiert, umrissen: Moderne Antimoderne ist ein, wenn nicht der Wesenskern faschistischer Bewegungen. Eine idealisierte und mythologisierte Vergangenheit soll mithilfe moderner Technik, aber auch einer ‚modernen Ästhetik‘ geschaffen und die verhasste liberale, demokratische Gegenwart abgeschafft werden. Im bisher doch noch sehr kleinen Sortiments des Shops wird dann auch deutlich, welche Traditionen in die Moderne überführt werden sollen. Der „Gemsbok“ ist der koloniale Name der Oryx-Antilope, welche unter anderem im heutigen Namibia beheimatet ist. Auf dem Gebiet Namibias befand sich während des Deutschen Kaiserreichs die deutsche Kolonie ‚Deutsch-Südwestafrika‘. In der Kolonie verübten deutsche Kolonialtruppen 1904 einen Völkermord an den eigentlichen Bewohner*innen des Gebiets, den Herero und Nama.
Das einzige Produkt, welches bisher im Web-Shop angeboten wird, eine Cap, zeigt auf den ersten Blick eine unverfängliche Palme. Jedoch handelt es sich dabei um das Logo des „Deutschen Afrikakorps“ eines Großverbands der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, welcher die koloniale Vorherrschaft des faschistischen Italiens in Nordafrika sichern sollte. Auf dem Logo von Gemsbok wurde einfach das Hakenkreuz entfernt und schon ist die ‚Neuinterpretation‘ deutscher Traditionen abgeschlossen. Imperialismus, Kolonialrassismus und NS-Verherrlichung sind Grundlage der neuen Marke. Es bleibt abzuwarten, welchen Erfolg die Klamotten haben werden. Als Zielgruppe haben die drei Brüder unter anderem StudentInnen im Blick. Sitz des Unternehmens ist Felix Hausers derzeitiger Wohnort am Schleppweg 7, in 37194 Bodenfelde. Dort wohnt er zusammen mit seiner Freundin Lisa Straßmann, die von dort aus das Geschäft „Straßmann Holz & Forst“ betreibt. Damit kann eine weitere Lügengeschichte der Nazis widerlegt werden, nämlich dass Felix Hauser noch in Essen bei seinem Vater wohnen würde.
Auch Paul Sass ist weiterhin in neonazistischen Kreisen unterwegs. Sass besucht besonders gern völkische und neuheidnische Veranstaltungen. Zusammen mit Philippe Navarre und Louisa Bredemeier nahm er im Jahr 2022 am Questfest teil.
Diese neuheidnische „Brauchtumsfeier“ zieht schon seit Jahrzehnten Neonazis in großer Zahl an. Diese werden von der Gemeinde mit offenen Armen empfangen. Werner Haverbeck, Ehemann der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck wurde beispielsweise in den Verbund der Questenfreunde aufgenommen. Im Sonderbar-Prozess hatte Navarre noch behauptet, seit Jahren keinen Kontakt mehr zu den anderen ZeugInnen und Angeklagten gehabt zu haben. Mal wieder eine weitere Lügengeschichte. Auch in diesem Jahr beteiligte sich Sass an mindestens einer neonazistischen und völkischen Veranstaltung. Zusammen mit mehreren anderen Neonazis nahm er an einer Wanderung in der Nähe von Bremen teil. Es handelte sich jedoch mitnichten um eine harmlose Wanderung. Die Gruppe Neonazis wanderte zur nationalsozialistischen Kultstätte „Stedingsehre“.
An diesem Ort fanden unter anderem Massenaufmärsche der NSDAP statt. Ziel solcher Veranstaltungen ist es, die NS-Identität der TeilnehmerInnen zu festigen. Insbesondere Kinder sollen über solche niedrigschwelligen und Angebote mit der der NS-Ideologie indoktriniert werden. Gleichzeitig dienen sie der Vernetzung. An der Wanderung nahm beispielsweise der Hamburger Neonazi Jan-Steffen Holthusen teil. Holthusen ist ein umtriebiger Aktivist aus Hamburg, der unter anderem in der NPD (jetzt ‚Die Heimat‘) aktiv ist. Zuvor gehörte er der Kameradschaft „Hamburger Sturm“ an. Auch Mario Müller, ehemaliger Aktivist der Identitären Bewegung und mittlerweile wissenschaftlicher Mitarbeiter für die AfD im Bundestag lief mit. Müller schreibt ebenfalls für das extrem rechte ‚Compact-Magazin‘. Dies verdeutlicht ein weiteres Mal, dass die Grenzen zwischen AfD und Neonazismus nicht existent sind.
Doch zurück zu Paul Sass und seinem völkischen Aktivismus: Bereits im Juni 2020 besuchte er zusammen mit Adrian Matthes (Burschenschaft ‚Frankonia Erlangen‘) und Glenn Höpfner (ehemals ‚Junge Alternative Niedersachsen‘) die Sonnenwendfeier der kürzlich verbotenen ‚Artgemeinschaft‘ im thüringischen Ilfeld. Auch die Familie Hauser hatte mehr als enge Kontakte zu dieser Vereinigung. Im Rahmen des Verbots wurde unter anderem die Arztpraxis von Gerhard Hauser, dem Vater von Felix Hauser durchsucht. Das Bundesinnenministerium begründet das Verbot damit, dass die ‚Artgemeinschaft‘ eine „sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung“ sei, die durch „eine widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde“ heranziehe. Dieses Ziel hat Gerhard Hauser in Bezug auf seine Söhne zweifellos erreicht.
Alte Herren, Nazi-Verteidiger und Lügen im Gerichtssaal
Wie Antifaschist*Innen bereits an anderer Stelle geschrieben haben, sind nicht nur die Angeklagten und ihre FreundInnen Neonazis, sondern auch deren Verteidiger. Andreas Schoemaker (Essen) verteidigt in beiden Prozessen Felix Leonhard Hauser. Klaus Kunze (Uslar) verteidigt Robert Krüger-Zechlin im Sonderbar-Prozess und Albrecht Diederichs im Theaterplatzverfahren. Letzterer tritt außerdem als Praktikant von Kunze in Erscheinung. Paul Sass wird durch Dietrich Homann (Göttingen) verteidigt.
Schoemaker und Kunze sind Alte Herren der ‚Deutschen Burschenschaft‘ (DB). Schoemaker ist Mitglied der ‚Raczeks Breslau zu Bonn‘, Kunze Mitglied der Burschenschaft ‚Germania Köln‘. Beide sind bereits seit ihrer Studienzeit in rechten Strukturen aktiv. Auch Dietrich Homann ist Burschenschafter. Er ist Alter Herr der ‚Holzminda Göttingen‘ (ehemals DB).
Die Verortung von Kunze und Schoemaker ist bereits an anderer Stelle angerissen wurden. Ihr Auftreten im Gerichtssaal ist nicht zuletzt geprägt durch sexistische Sprüche und Verharmlosungen der Nazigewalt. Schoemakers Kommentare sind geprägt von Anspielungen auf Alkoholkonsum und ein traditionelles und sexistisches Frauenbild – passend zu seinem burschenschaftlichen Hintergrund. Dietrich Homanns politische Ambitionen lassen sich nicht so einfach nachweisen. Im Gerichtssaal hetzte er gegen Klimaaktivistinnen. Er ist zweifelsfrei Alter Herr der Göttinger Burschenschaft ‚Holzminda‘ und außerdem in der ‚Göttinger Jägerschaft‘ organisiert. Diese bildet unter anderem Jägerinnen in der Region Südniedersachsen aus. Daneben geht die ‚Göttinger Jägerschaft‘ auch an Schulen und bietet dort das Infomobil „Lernort Natur“ an. Homann selbst ist Obmann für die Ausbildung angehender Jägerinnen. Ein Kennverhältnis zwischen Homann und der Naziclique ist wahrscheinlich. Teilen sie doch ebenfalls das Interesse für die Jagd, sind dementsprechend ausgebildet worden und zum Teil ebenfalls Burschenschafter gewesen. Felix Hauser war zeitweise Mitglied der Burschenschaft ‚Holzminda‘, genau wie Homann.
Andreas Schoemaker und Klaus Kunze verteidigen nicht zum ersten Mal gemeinsam Personen der Naziclique. Bereits im Dezember 2019 verteidigte Schoemaker Felix Hauser und Kunze Albrecht Diederichs. Damals ging es um einen Vorfall in München, wo die beiden Nazis zusammen mit Paul Sass (zu der Zeit verteidigt von Franz Gell) und Robert Krüger-Zechlin (damals verteidigt von Günther Herzogenraht-Amelung) angeklagt wurden, in Braunhemden durch München gezogen zu sein, Hitlergrüße gezeigt, und einen tschechischen Staatsbürger rassistisch beleidigt zu haben. Wären dem Betroffen nicht Passant*innen zur Seite gesprungen, hätte Hauser auch hier zugeschlagen. Artikel in der ‚Süddeutschen Zeitung
Auch damals behauptete Klaus Kunze für seinen Mandanten Diederichs, dass „Braune Hemden ein Witz“ gewesen seien, genau wie der Metallpoller beim Theaterplatzverfahren. Die Verteidigung besteht aus einer Selbstverharmlosung der FaschistInnen, die bis ins Groteske reicht. In dem Müchner Verfahren wurde allerdings deutlicher, dass die Nazis sich abgesprochen hatten: Das damalige Mitglied der ‚Identitären Bewegung‘ Maximilian Huttner wurde vom Gericht aufgefordert einen Chatverlauf mit Albrecht Diederichs vorzulesen:
Diederichs: „Moin, hier ist Albrecht, haben uns in München kennengelernt. Zeugen behaupten, dass wir Heil Hitler […]. Voll gelogen. Extrem. Müssen unbedingt telefonieren, bringe dich auf den neusten Stand. Lasse dir Ermittlungsakte zukommen […]
Huttner: „Ja krass, ruf mich an.“
Diederichs: „Ruf Kunze an.“
Huttner: OK. Kannst du mir bitte meine Stellungnahme schicken?
Schlussendlich stimmte sich Huttner mit dem Rechtsawalt Herzogenrath-Amelung über seine Aussage ab, nachdem ein Treffen mit der Naziclique auf der Burschenschaft ‚Frankonia Erlangen‘ nicht zustande gekommen ist. Auch hier führte das nicht dazu, dass die Nazis strafrechtliche Konsequenzen erhielten. Das Verfahren wurde gegen Geldauflage eingestellt (Aktenzeichen 1023 DS 117 JS 109029/19 jug).
Wie erfolgreich die Neonazis mit ihren Lügengeschichten waren, verdeutlicht nicht zuletzt die Aussage eines Polizisten im Theaterplatzprozess. Auf dem Blog ‚ausgetobt‘ wurde ein Bild von Paul Sass veröffentlicht, der auf einer Kneipentour den Hitlergruß gezeigt hat. Doch der Nazi ist auch hier straffrei davongekommen. Polizei und Staatsanwaltschaft haben ihm geglaubt, dass er nur jemanden auf der gegenüberliegenden Straßenseite grüßen wollte. Einfacher kann man es den FaschistInnen nicht machen.
Entpolitisierte Angriffe und ungesühnte Nazigewalt
Kennzeichnend für beide Verfahren ist die Entpolitisierung der Taten. Die beiden Kammern und insbesonders die Staatsanwaltschaft im Theaterplatz-Prozess machten es sich leicht. Indem kein Gedanke an die Neonaziideologie der Angeklagten und rechte Raumnahmestrategien verschwendet wurde, konnten die Angriffe als einfache Körperverletzung verurteilt und als „Kneipenschlägereien“ entpolitisiert werden.
Im Sonderbar-Prozess wurde Hauser am 08.10.2023 wegen einfacher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 30€ verurteilt. Dass Hauser mit Quarzsandhandschuhen brutal auf den Betroffenen einschlug, scheint dem Gericht trotz zweier Aussagen von Zeug*innen, die die Handschuhe gesehen haben, nicht ausreichend belegt und damit keine Grundlage für eine Verurteilung zu schwerer Körperverletzung zu bestehen. Mit dem Urteil des Landgerichts Göttingen ist die Sperrung seiner Waffenbesitzkarte immerhin für weitere fünf Jahre sicher, auch wenn das Urteil aufgrund eingelegter Revision von Hauser und seinem Anwalt zurzeit nicht rechtskräftig ist. Ein taktischer Zug, der verhindert, dass die Akten der Revision für das Theaterplatzverfahren herangezogen werden konnten. Die Verurteilung im Sonderbar-Prozess hätte die Entscheidung im Theaterplatz-Prozess zu Ungunsten Hausers ausfallen lassen können. Auch die Frage, ob Hauser nicht trotz allem seinem Jagdhobby nachgehen kann und Zugang zu Waffen hat, muss sich an dieser Stelle gestellt werden. Noch in diesem Jahr teilte er auf Social Media ein Bild seines Hundes mit Waffe. Auch seine Verlobte scheint die Passion des Jagens zu teilen und ihm dadurch wahrscheinlich ebenfalls einen Zugang zu Waffen zu bieten.
Gegen Robert Krüger-Zechlin wurde das Verfahren gegen eine Zahlung von 900€ als Auflage an ‚Ausgleich e.V.‘ sogar eingestellt. Mit der Entscheidung entschied sich das Gericht gegen den Tatbestand der gemeinschaftlichen Körperverletzung. Dass eine Zeugin Krüger-Zechlin eindeutig als Mittäter erkannt hat, war für das Gericht nicht ausreichend, um seine Mittäterschaft festzustellen. Generell lag der Fokus des Verfahrens auf Hauser, dies wurde nicht zuletzt durch die Einlassungen von ihm und Krüger-Zechlin sowie die Aussagen von Navarre, Sass und Dietrichsen bekräftigt. Die Strategie schien hier zu sein, zuzugeben, was nun wirklich nicht auszuräumen ist. Anders als in diesem Jahr entschied sich das Amtsgericht 2021 für eine Verurteilung Krüger-Zechlins zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 8 Monaten, die auf drei Jahre Bewährung ausgesetzt werden könne sowie 80 Sozialstunden. Hauser wurde damals zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten und 120 Sozialstunden verurteilt. Damit fiel das Urteil in diesem Jahr deutlich hinter das Strafmaß von 2021 zurück. Für Krüger-Zechlin wird der Übergriff auf die Sonderbar quasi keine Folgen haben. 900€ sind für ihn vermutlich nicht sonderlich schmerzhaft und in seiner Akte taucht das Verfahren mit der Einstellung nicht mehr auf. Auch Hauser gilt mit seinen 90 Tagessätzen nicht als vorbestraft.
Im Theaterplatz-Prozess wurde Felix Hauser am 23.10.2023 zu einer geringen Geldstrafe von 60 Tagessätzen á 30€ verurteilt. Die beiden anderen Angeklagten Albrecht Diederichs und Paul Sass wurden freigesprochen. Das Amtsgericht sah es nicht als erwiesen an, dass der Eisenpoller genutzt wurde, um die beiden Betroffenen zu verprügeln. Es stützte sich insbesondere auf ein Gutachten, was allerdings lediglich aufgrund nachträglicher Bildaufnahmen angefertigt wurde. Schwammig blieb des Weiteren, wie Hauser es in so kurzer Zeit geschafft haben solle, zwei Menschen so sehr zu verprügeln, dass einer der Beiden bewusstlos geschlagen und dem anderen zweifach der Kiefer gebrochen wurde. Es ist zweifelhaft, dass Hauser lediglich zweimal zugeschlagen und dadurch diese Verletzungen herbeigeführt hat. Gericht und Staatsanwaltschaft haben sich nicht gefragt, ob Albrecht Diederichs und Paul Sass wirklich keinen Anteil an dem Angriff gehabt haben. Immerhin eskalierten die beiden die Situation mit den Worten „langhaarige Schwuchtel“ und dadurch, dass sie einem Betroffenen ins Gesicht griffen.
Die sich daran zeigende Entpolitisierung des Angriffs ist besonders skandalös. Die zuständige Staatsanwältin sprach von „gegenseitigen Provokationen“ und die Richterin behauptete, dass sich die Auseinandersetzung aus einer „locker-lustigen Begegnung“ entwickelte, die dann in Beleidigungen und schließlich eine Körperverletzung ausgeartet sei. Es handle sich um eine „normale Kneipenschlägerei“, wie sie ständig vor dem Amtsgericht verhandelt werden würde. „Langhaarige Schwuchtel“ sei „kein schöner Umgang“, aber sie habe nicht dazu geführt, dass hier eine politische Gesinnung zur Körperverletzung geführt habe. Der Gruppe könne auch nicht nachgewiesen werden, dass sie losgezogen sei, „um jemanden zu klatschen“. Es habe „keine feindseelige Gesinnung“ vorgelegen, meinte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Wie erklärt sich die Richterin dann, dass sich mehrere Kneipen in Göttingen gegen diese Bedrohungslage in Göttingen zusammengeschlossen haben? Verschiedene Wirte in Göttingen hätten ihr ähnliche Situationen schildern können, die nur durch Glück nicht zu körperlichen Angriffen von Seiten der Nazis führte. Durch die Sauftouren der Naziclique zogen sich immer wieder homofeindliche Beleidigungen und die Suche nach Leuten, die das Nazitreiben kritisch beäugten. War diese Person gefunden, wurde sie angegriffen. Gewalt gegen Personen des ‚linken Göttingens‘ war verbindende Gemeinsamkeit der Sauftouren. Natürlich waren die Nazis nicht so blöd vor Gericht zu behaupten, dass Gewalttaten ein willkommenes Ereignis auf ihren Sauftouren waren, welches sie aktiv herbeigeführt haben. Staatsanwaltschaft und Gericht hätten es aber sehr wohl herausfinden können. Sie hätten sich für den Kontext, indem die Angriffe passiert sind, interessieren müssen.
Indem die Richterin die neonazistische Gesinnungsgemeinschaft der Angeklagten, aber auch der NazizeugInnen ignorierte, kann sie sich einreden, dass sie das „Gericht nicht nach Strich und Faden belogen“ hätten. Die rechte Verteidigungsstrategie, bestehend aus Selbstverharmlosung und Täter-Opfer-Umkehr ist damit erfolgreich aufgegangen. Durch die vollständige Entkontextualisierung der Angriffe konnten Staatsanwaltschaft und Gericht zu diesem Urteil kommen. Ein Skandal, durch den rechte Gewalt ungesühnt bleibt und sich die Nazis ins Fäustchen lachen. Zurück bleiben die Betroffenen, die zum Teil noch heute mit den Folgen der Attacken zu kämpfen haben.
Bei all der Ignoranz gegenüber den Lügenmärchen der Neonazis muss die Frage erlaubt sein, ob der Unwillen rechte Gewalt zu verfolgen, nicht doch auf klammheimliche Sympathie innerhalb von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz zurückzuführen ist. Die Urteile zeigen wieder einmal, dass man sich im Kampf gegen Nazis nicht auf den Staat verlassen kann.